Wenn Sie gebeten werden, bei der Bewältigung eines Konfliktes zu helfen, sollten Sie folgende Denkfehler vermeiden:
Denkfehler 1: Konflikte sind schlecht!
In China setzt sich der Begriff Konflikt aus dem Zeichen für mögliche positive Veränderung und dem Zeichen für mögliche Gefahr zusammen. Dementsprechend können Phänomene sowohl als
fortschrittshemmende Störungen als auch als unabdingbarer Motor und Stimulus sozialen Wandels gesehen werden. Ich finde diese chinesische „Doppeldeutigkeit“ deshalb erwähnenswert, weil sie einen wichtigen Kern trifft: Jede Krise beinhaltet Chancen, wenige oder viele, das ist ganz unterschiedlich – nie aber keine! Dies sollte man als KonfliktmoderatorIn verinnerlicht haben. Am leichtesten gelingt einem dies, wenn man das selbst schon durchlebt und erfahren hat, wenn man selbst die eine oder andere „Konfliktschramme“ abgekriegt hat. Dennoch ist auch die Überzeugung wichtig, dass Konflikte nicht immer in Harmonie münden können oder müssen. Konfliktbearbeitung ist nicht das Streben danach, den Zustand wieder herzustellen, der früher einmal war. Vielmehr geht es darum, den Beteiligten und Betroffenen in einem ersten Schritt zu helfen, anzuerkennen, was ist. In einem zweiten Schritt kann dann ein Verstehen entstehen, wie es dazu kam, dass es nun einmal ist, wie es nun einmal ist. Auf dieser Basis kann dann eine Er‐Lösung entstehen; eine Garantie gibt es dafür freilich nicht.
Denkfehler 2: Hinterher ist es so, wie es einmal war!
Um eine Weisheit des griechischen Philosophen Heraklit zu zitieren: Man muss sich als KonfliktmoderatorIn und freilich auch als Konfliktbeteiligter (da ist es nur ungemein schwerer) der Tiefe der Weisheit „Du kannst nicht zweimal in den selben Fluss steigen!“ bewusst sein. Es wird niemals mehr sein, wie es war, wie schlecht oder gut die Konfliktbearbeitung und Verarbeitung auch immer gelingen mag. Es wird danach schlechter oder besser, auf jeden Fall aber anders sein. Daraus folgt, dass es kindlich naiv, ja unredlich ist, als Konfliktmoderator als Ergebnis einer gemeinsamen Konfliktbearbeitung eine Konfliktlösung zu versprechen, die alles „heil macht“, so dass es hinterher wieder so ist, wie es „vorher einmal war“.
Denkfehler 3: Konfliktbearbeitung bedeutet Konfliktlösung!
Die Anforderung an den Konfliktmodertor ist die, (bestenfalls) eine Klärung der Situation in Aussicht zu stellen, wohl wissend, dass er selbst diese nicht garantieren kann, da er es dazu fertig bringen muss, dass die Konfliktparteien 1. „Auspacken“ und 2. es schaffen anzuerkennen, was ist um 3. zu erkennen, wie es dazu kam, dass es jetzt ist, wie es ist, sowie ggf. 4. das (Er)Finden von „Lösungen“ ermöglichen.
Gelingt dies, ist erst jetzt ein Stadium erreicht, in dem es möglich ist, darüber nachzudenken, was das nun für die gemeinsame – oder auch nicht gemeinsame – Zukunft bedeuten könnte, kann, wird ... Nur so und erst dann, kann eine nachhaltige Lösung entstehen!
Denkfehler 4: Eine Lösung muss „schön“ sein!
Lösung muss nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“ heißen! Lösung kann auch heißen, wir finden keine Basis mehr für ein weiteres Miteinander. Das Gegeneinander soll (oder muss) aber dennoch aufhören. Die Lösung sieht so aus, dass wir uns trennen. In einer Organisation kann das bedeuten, dass die Organisationsstruktur verändert wird, dass jemand die Abteilung wechselt oder die Organisation verlässt.
Denkfehler 5: Ein Konflikt muss analysiert werden!
Bei der Auftragsklärung ist es wichtig, nicht zu wenig zu fragen, vielleicht aus Angst als begriffsstutzig zu wirken oder als inkompetent anzukommen. Es ist andererseits auch wichtig, nicht zu tief einzusteigen. Letzteres birgt nämlich die Gefahr, parteiisch zu werden, indem man sich zu sehr nur in die eine Seite hinein denkt. Nämlich in die, mit der man das Vorgespräch führt. Zudem ist es sehr wichtig, dass „der Druck im Kessel“ bleibt und der Gesprächspartner nicht schon jetzt entlastet wird und dadurch schon im Vorfeld der Eindruck entsteht, es sei ja schon alles gesagt. Beides würde die spätere Klärungsarbeit erschweren.
Daher macht es in aller Regel auch keinen Sinn mit weiteren oder gar allen Beteiligten vorab zu sprechen. In aller Regel reicht es, mit dem für den Konflikt Verantwortlichen den Auftrag zu klären. Möchte der Auftraggeber vor/zur Auftragsvergabe ein Kennenlerntreffen oder/und dass Einzelgespräche mit allen Beteiligten geführt werden, zeugt das lediglich von seiner Unsicherheit. Er möchte jetzt alles richtig machen und auf Nummer sicher gehen. Erklärt man sich zu einem Treffen bereit, muss man wissen, welchen Preis es kosten wird! Es empfiehlt sich in aller Regel, ein derartiges Ansinnen, aus genannten Gründen, abzulehnen. Es schadet meist mehr, als es nützt.
Mehr zum Thema systematischer Konfliktbearbeitung… erfahren Sie in dem neuen Buch von Josef W. Seifert. Er zeigt in seinem Buch „Konfliktmoderation – Ein Leitfaden zur Konfliktklärung“ theoretisch fundiert und sehr praxisnah auf, wie man als Berater, Coach oder Moderator einen Konflikt zwischen zwei Personen oder auch in einem Team, Schritt für Schritt bearbeiten kann: Was ist ein Konflikt? Welche Aufgaben hat ein Konfliktmoderator, welche Erwartungen kann er erfüllen, welche nicht? Wie geht er systematisch an eine Konfliktklärung heran und welche Methoden stehen ihm dabei zur Verfügung? Das Buch gibt hierauf Antworten und bietet dem Leser einen methodischen Leitfaden zur Durchführung von Konfliktmoderationen. Seiferts Hauptthese: Ein Konfliktmoderator ist kein Konfliktlöser, der eine „Friede‐Freude‐Eierkuchen“‐Situation herstellen kann. Seine Aufgabe ist vielmehr, einen „Heilungsraum“ für verletzte Beziehungsstrukturen zu schaffen und das ist möglich.
Foto Header: Spencer Selover von Pexels https://www.pexels.com/de/foto/armbanduhr-business-drinnen-elegant-428339/